Ich kann mich nicht genau erinnern. Es muss im Januar oder Februar 2011 gewesen sein. Natürlich kannte ich die Arbeiten von Letizia Battaglia sehr viel länger, schließlich lag mein Studium der Italianistik an der Universität Bremen schon einige Jahre zurück. Und als Studiengang der besonderen Art, der nicht bloß Landeskunde anbot, sondern stattdessen und darüberhinaus die Landeswissenschaften als dritte Säule neben der Sprach- und Literaturwissenschaft zu etablieren suchte, konnte ich sie nicht nicht kennen. Schließlich ist sie die Fotografin Italiens gewesen, die Fotografin mit der kleinen Leica, die nicht bloß bei Italienist:innen bekannt war, sondern immer wieder auch in der internationalen Presse aufblitzte.
Gesehen habe ich sie damals das erste Mal im Frühjahr 2011. Es war eine besondere Begegnung. Die Deutsche-Italienische Gesellschaft hatte in Kooperation mit dem Übersee-Museum einen Vortrag organisiert. Das Thema war natürlich die Mafia. In der Hochschule für Künste verschob sich das Interesse des interessierten jungen Publikums hin zur Kunst, zur Photographie. Sie saß im Seminar und strahlte eine Kraft und Energie aus, wie es nur wenigen Menschen gelingt; die Studierenden waren ganz in ihren Bann gezogen. Wie kann es auch anders sein?
Das letzte Mal habe ich sie gesehen auf ihrer Terrasse in Palermo. Das ist nun schon viel zu lange her. Im Rahmen eines Projekts, welches zum Fokus sizilianische Frauen hatte und leider nie einen Abschluss fand, war ich mit ihr verabredet, um mit ihr über ihr Leben, ihre palermitanische Biografie zu sprechen. Nun, es kam anders, denn zuvor sprach ich mit ihrer Tochter Shobar. Es war ein langes Gespräch und ich bin mir sicher, dass auch Letizia, trotzdem sie eine Etage tiefer saß, an ihm teilnahm, es war ein sehr bewegender Einblick in die Welt des Patriarchats, auch jenseits Siziliens.
Befasste ich mich mit dem Klang der Stadt, war es Letizia, die ihre Kamera nutzte, um zu zeigen, was sie zeigen wollte, die Missstände ihrer Stadt. Mit ihrer Kamera fokussierte sie Morde, im Gespräch aber beschwor sie das Potenzial ihrer Stadt: Es könnte die schönste sein, die schönste Stadt im Mediterran, sagte sie und versammelte die Intellektuellen der Stadt und über die Grenzen hinaus um sich, das zu beweisen. Sie blickte in die Zukunft und ich bin mir sicher, dass sie die Manifesta 12 Kunstbiennale 2018 oder die steten Neuerungen der Stadt unter Führung von Leoluca Orlando mit Stolz erfüllten.
An einer für mich sehr wichtigen Gabelung trafen wir uns. Sie kam 2011 nach Bremen. Ich folgte ihr nach Palermo, wo ich zwar eh hinwollte, aber die Sympathie, die wir füreinander verspürten, gab meinem Aufenthalt eine andere, eine besondere Note, Unterstützung von Letizia Battaglia, wow! „Du kannst erstmal in meiner Altstadt-Wohnung wohnen“. Sie freute sich, dass ein Bremer nach Palermo kam, um dort zu forschen und vielleicht eine andere Geschichte zu erzählen als die, die sie in ihrem Leben mit ihren Fotos so oft erzählt hat und hat erzählen müssen.
Die vielleicht eindrücklichste Anekdote, die ihre Perspektive auf die so widersprüchliche Welt, in der wir leben zum Ausdruck bringt, ereignet sich in einem Lokal mit authentischer palermitanischer Küche namens Rosa e Nero. Heute eine etablierte Adresse unweit der Via Maqueda im Herzen von Palermo. Damals eine von einem jungen Paar aus dem Nichts, mit allerlei Gebrauchtem gezauberte Baracke, in dem sie kochte und er servierte. Als sich Letizia eine Zigarette anzündet, ruft der junge Gastronom: „Signora, das Rauchen ist hier nicht erlaubt, das ist illegal!“ Sie aber erwidert: „Junger Mann! Alles hier, das ganze Lokal ist illegal“!
Am Mittwoch, den 14. April ist sie im Alter von 87 Jahren in ihrer Stadt Palermo verstorben.